14.09.2021 / Dr. Jan Höpker / Kategorie: Persönlichkeitsentwicklung

Chronische Unzufriedenheit Titel

Rund 50 Prozent der Deutschen sind unzufrieden, obwohl es ihnen objektiv betrachtet gut geht. Das scheint paradox zu sein, macht aber Sinn, sobald man verstanden hat, wie Zufriedenheit funktioniert.

Jeder Hartz-IV-Empfänger hat Reichtümer, von denen die reichsten Menschen vor 200 Jahren noch nicht einmal träumen konnten:

  • Seit über 70 Jahren kein Krieg mehr im eigenen Land
  • Dank Antibiotika sind bakterielle Infektionen keine tödliche Gefahr mehr
  • Energie kommt aus der Steckdose

Sind die Deutschen alle übergeschnappt?

Nein, wir sind nicht übergeschnappt. Viele Menschen verstehen nur nicht, wie die Unzufriedenheit funktioniert und was ihr Ziel ist.

Unzufriedenheit ist ein Naturgesetz

Solange man uns keine Drogen ins Trinkwasser mischt, wird ein großer Teil der Bevölkerung unzufrieden sein – immer!

Das Einzige was sich ändern kann, ist die Intensität der Unzufriedenheit (und welche einzelnen Personen unzufrieden sind).

Unzufriedenheit ist ein soziales Gefühl

Es gibt etwa 400 verschiedene Gefühle. Viele dieser Gefühle sind dazu da, unser soziales Miteinander zu organisieren: Eifersucht, Vertrauen, Hass, usw. Auch Zufriedenheit und Unzufriedenheit haben eine soziale Komponente:

Das Gefühl der Unzufriedenheit gleicht die Ambitionen der Mitglieder einer Gruppe an.

Wenn wir uns das Leben als einen 100-Meter-Lauf vorstellen, dann sorgen Zufriedenheit und Unzufriedenheit dafür, dass wir alle ungefähr zeitgleich ins Ziel kommen. Wer in Führung liegt, dem nimmt die Zufriedenheit den Wind aus den Segeln, und wer zurückfällt, wird von der Unzufriedenheit dazu angestachelt, etwas schneller zu laufen, um aufzuholen.

Man hat beobachtet, dass die engen Freunde von Personen, die kürzlich ein starkes Übergewicht entwickelt haben, mit einer signifikant erhöhten Wahrscheinlichkeit ebenfalls übergewichtig werden. Wenn sich das Körpergewicht in unserem sozialen Umfeld verändert, dann verändert sich auch die Toleranzgrenze, ab der wir mit dem eigenen Gewicht unzufrieden sind – wir sind mit einem höheren (Über-)Gewicht immer noch zufrieden.

Es geht um die Differenz, nicht um das absolute Maß

Je größer der Abstand zwischen den Läufern im 100-Meter-Lauf des Lebens, umso größer wird die Unzufriedenheit derjenigen, die zurückfallen. Das Problem ist, dass das Leben des modernen Menschen mittlerweile so kompliziert ist, dass man nicht immer sofort erkennen kann, auf welchen Lebensbereich sich die Unzufriedenheit bezieht.

Ist es der Job?

Ist es die Gesundheit?

Sind es die Finanzen?

Ist es die Beziehung?

Um die Unzufriedenheit einem Lebensbereich zuordnen zu können, braucht man einen klaren Verstand. Wenn die Unzufriedenheit ein bestimmtes Maß jedoch überschreitet, dann trübt sich der Verstand. Es macht daher Sinn, auf die Unzufriedenheit zu reagieren, bevor sich Stresssymptome wie zum Beispiel eine verringerte Konzentrationsfähigkeit einstellen.

Die wahre Ursache der Unzufriedenheit

Ein empfehlenswertes Buch über Zufriedenheit stammt von dem US-amerikanischen Psychologen Barry Schwartz: Anleitung zur Unzufriedenheit* (Englischer Titel: Paradox of Choice).

Auch der TED-Talk zum Buch ist empfehlenswert:

Die Kernaussage des Buches lautet:

Was uns Menschen unzufrieden macht, sind die ständigen Wahlmöglichkeiten mit vielen annähernd gleichwertigen Optionen

  • 57 verschiedene Sorten Marmelade im Supermarkt
  • 112 verschiedene Gerichte im Chinarestaurant
  • 18.000 Studiengänge an deutschen Hochschulen

Insbesondere Perfektionisten, die den Anspruch haben, die bestmögliche Wahl zu treffen, haben darunter zu leiden.

Leider ist die Unzufriedenheit ein diffuses Gefühl, das uns nur sagt, dass irgendetwas nicht gut für uns läuft. Wo genau das Problem liegt, verrät uns die Unzufriedenheit nicht. Kein Wunder, dass die Unzufriedenheit häufig den falschen Ursachen zugeschrieben wird.

Aufgrund unserer weit fortgeschrittenen technischen und kulturellen Entwicklung befinden wir uns mittlerweile (weit) außerhalb der Grenzen, innerhalb derer uns die Unzufriedenheit zuverlässig den richtigen Weg weisen kann.

Viele Menschen zieht es förmlich in die Geschäfte mit der größten Auswahl. Sie wären wohl niemals von selbst darauf gekommen, dass es aber genau diese Auswahl ist, die sie unzufrieden macht, und nicht etwa die Länge der Schlange an der Kasse oder der Stau auf dem Parkplatz.

Zufriedenheit wird vom Gehirn berechnet

Barry Schwartz schreibt, dass unsere Psyche die Zufriedenheit aus drei Differenzen berechnet: Die Differenz zwischen dem, was wir momentan haben und …

  1. Unserem persönlichen Höchststand in der Vergangenheit.
  2. Dem, was andere Menschen haben.
  3. Unseren Wünschen, Ziele und Ansprüchen.

Wenn wir zufriedener werden wollen, müssen wir eine oder mehrere diese drei Differenzen manipulieren. Die Manipulation kann auf zwei verschiedene Arten geschehen:

  • Wir können dafür sorgen, dass die jeweilige Differenz tatsächlich größer wird
  • Wir können dafür sorgen, dass es so aussieht, als ob die jeweilige Differenz größer würde

Der sinnvollste Weg dürfte – wie so oft – ein Mittelweg sein.

Unzufriedenheit entsteht bei Verschlechterung

Wer in seinem Leben möglichst dauerhaft zufrieden sein möchte, sollte stetig wachsen. Die Tendenz ist wichtiger als der absolute Betrag.

Stetes Wachstum klappt am besten in Kombination mit langsamem Wachstum.

Leider gewöhnt man sich mit der Zeit an das stete Wachstum, weshalb es wünschenswert wird, hin und wieder kleine Rückschläge zu erleiden.

Wer arbeitslos wird, verschlechtert sich finanziell, was zu Unzufriedenheit führt. Ob man mit dem Geld gut auskommt oder nicht, spielt für die Zufriedenheit nur eine untergeordnete Rolle. Das Gleiche gilt für Menschen, die in Rente gehen und nur die mickrige gesetzliche Rente erhalten.

Unzufriedenheit entsteht, wenn andere mehr haben

Wie kann es sein, dass Menschen ein ganzes Jahresgehalt (oder mehr) für ein Auto ausgeben, das dann 95 % der Zeit am Straßenrand steht und an Wert verliert? Ich behaupte nicht, dass Autos unnötig sind, aber um von A nach B zu kommen, braucht man keinen Neuwagen für 50.000 Euro. Ein Gebrauchtwagen für 10.000 Euro erfüllt den gleichen Zweck.

Dass wir unnötig viel Geld für Autos und andere Produkte ausgeben, liegt daran, dass wir ein Bedürfnis danach verspüren, uns diese teuren Produkte zuzulegen. Die Entstehung dieses Bedürfnisses hat sehr viel damit zu tun, welches Model in der Auffahrt des Nachbarn steht, und neben welchen Modellen wir jeden Morgen auf dem Firmenparkplatz parken. Das Auto ist längst kein Gegenstand mehr, der uns nur von A nach B bringt. Unser Auto definiert, wer wir sind. (Das Auto ist nur eines von mehreren möglichen Beispielen für materielle und nicht materielle Besitztümer, über die sich Menschen definieren.)

Wir haben lieber absolut wenig als relativ weniger

Die meisten Menschen hätten lieber ein Jahresgehalt von 50.000 Euro, während die Nachbarn nur 40.000 Euro haben, als 100.000 Euro in einem Umfeld, das deutlich mehr Geld hat.

Unzufriedenheit und falsche Realitäten

Wenn sich unser Zufriedenheitsrechner an falschen Realitäten orientiert, kann das zu unnötigem Leid führen. Unser Zufriedenheitsrechner ist für eine Welt ausgelegt, in der wir die Geschehnisse mit unseren eigenen Augen beobachten. Wenn wir immer nur die Highlights aus den Leben unserer Mitmenschen mitbekommen, zieht unser Gehirn die falschen Schlüsse und geht von einer zu hohen Differenz zwischen uns selbst und unseren Mitmenschen aus. Die Folge ist chronische Unzufriedenheit. Kein Wunder also, dass Social Media unglücklich macht.

Unzufriedenheit entsteht durch hohen Ansprüche

Wer hohe Erwartungen und Ansprüche an sich selbst hat, ist eher unzufrieden, als jemand, der weniger erwartet. Wie schon im letzten Abschnitt beschrieben, stehen unsere Wünsche aber nicht völlig frei im leeren Raum, sondern sie orientieren sich an dem, was die anderen Menschen in unserem Umfeld haben.

Die schönste Nachbarschaft ist eher nicht die Nachbarschaft, in der man am zufriedensten ist. Die eigenen Ansprüche lassen sich leichter herunterschrauben, wenn man auch das Umfeld auswechselt.

Wie wir zufriedener werden können

Nachdem wir jetzt wissen, was Zufriedenheit ist und von welchen Faktoren sie abhängt, können wir uns daran machen, Maßnahmen zu ergreifen, die uns zufriedener machen.

Die meisten verbreiteten Tipps sind nutzlos

Viele der Ratschläge und Tipps, die uns so gerne gegeben werden, funktionieren nicht wirklich, weil sie nur an der Oberfläche kratzen.

„Vergleiche dich nicht mit anderen Menschen!“

Ein solcher Ratschlag wirkt zwar klug, aber im Grunde ist er auch nicht hilfreich, denn sowohl die Berechnung der Unzufriedenheit, als auch die Vergleiche, die der Berechnung zugrunde liegen, laufen nicht bewusst ab.

Zufriedener zu werden, ist ein dreistufiger Prozess

  1. Annehmen
  2. Analysieren
  3. Plan ausarbeiten

Nimmt deine Unzufriedenheit an!

Das unangenehme Gefühl der Unzufriedenheit zu bekämpfen, würde keinen Sinn machen, denn Gefühle lassen sich nicht gerne ignorieren. Solange die Ursache des Gefühls bestehen bleibt, wird das Gefühl zurückkehren – womöglich wird es beim nächsten Mal stärker sein.

Analysiere deine Situation

Die Schwierigkeit besteht darin, herauszufinden, welche Botschaft die Unzufriedenheit zu überbringen versucht.

Dabei helfen können:

Beruht die Unzufriedenheit auf der Realität oder auf einem Irrtum?

Arbeite einen konkreten Plan aus

Zum Schluss sollte ein konkreter Umsetzungsplan ausgearbeitet werden.

Was möchte ich in Zukunft anders machen?

Wie kann ich erreichen, dass ich das Vorhaben auch wirklich umsetze?

Die Umsetzung wird nur dann ein Erfolg, wenn sie auf einfachen und leicht umzusetzenden konkreten Handlungen beruht. Die konkreten Handlungen müssen dazu führen, dass sich der Fokus dauerhaft verschiebt: Weg von den Dingen, die dich unnötigerweise unzufrieden machen, und hin zu den Dingen, die dafür sorgen, dass du glücklich wirst.

Hier einige Anregungen:

Fazit

Am Ende wird unsere Zufriedenheit auch davon abhängen, was wir über die Unzufriedenheit selbst denken. Unzufriedenheit fühlt sich vielleicht nicht so gut an, aber wir dürfen nicht vergessen, dass sie ein starker Motor und Motivator ist. Wären wir immer zufrieden mit allem, würden wir in unserem Leben gar nichts erreichen.

Wer große Ziele hat, sollte seine Unzufriedenheit begrüßen wie einen Freund (oder sich von den großen Zielen verabschieden). Niemand, der in seinem Leben Großes erreicht hat, war ständig zufrieden.

Auf der anderen Seite: Muss man im Leben wirklich Großes erreichen?

Hi, hier schreibt Dr. Jan Höpker. Ich bin Wissenschaftler (Chemiker), Autor und Gründer der Websites HabitGym und Der perfekte Ratgeber. Mit meinem Buch Erfolg durch Fokus & Konzentration habe ich bis heute mehr als 20.000 Leser erreicht und ihnen dabei geholfen, fokussierter zu leben, zu lernen und zu arbeiten. Hier erfährst du mehr über mich.

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  • In deinem Prozess fehlt Punkt 4 – Umsetzen. Ohne den wird das nichts. Kenne ich aus Erfahrung :-)
    Wobei mir auch kein Plan geholfen hat, sondern rauszufinden was ich eigentlich will und daraus eine Vision mit Strategie. Denn Pläne halten meist nur solange bis sie auf die Realität treffen oder wie es eine Postkarte sagt: Alles lief nach Plan. Nur war der Plan halt scheisse.

    • Hey Jens,

      Danke für deinen Kommentar. Ich gebe dir grundsätzlich recht, aber der Bezug zum Artikel ist mir nicht ganz klar. Von welchem Prozess sprichst du?

      Viele Grüße,
      Jan

  • Lieber Jan,

    danke für diesen tollen Artikel, besonders die Empfehlung des Dankbarkeitstagebuches.

    Es wurde mir schon auf meiner letzten Reise von einem sehr inspirierenden Menschen empfohlen, ich habe es aber wieder vergessen.

    Gleich kaufe ich mir aber eines und dann nehme ich mir jeden tag 5 Minuten Zeit dafür.

    Lg

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