Die Feynman-Methode ist eine beliebte Lerntechnik. Sie erzeugt ein tiefes Verständnis für den Lernstoff. Dadurch bleibt das Gelernte länger im Gedächtnis. Transfer- und Verständnisfragen werden zum Kinderspiel.
Die meisten Schüler und Studenten dürften schon einmal diese unangenehme Erfahrung gemacht haben: Beim Lernen fühlte es sich so an, als habe man alles verstanden und könne die Zusammenhänge in eigenen Worten erklären.
Doch in der Klausur oder Prüfung ist man kläglich gescheitert.
Die Illusion von Wissen und Verständnis ist das Ergebnis von oberflächlichem Lernen. Wenn wir den Lernstoff wiederholt lesen, dann entsteht ein trügerisches Gefühl von Vertrautheit, aus dem wir die falschen Schlüsse ziehen.
Die vielleicht beste Lösung für dieses verbreitete Problem ist die sogenannte Feynman-Methode.
Sie ist nach dem US-amerikanischen Physiker und späteren Nobelpreisträger Richard Feynman benannt, der dafür bekannt war, komplizierte Sachverhalten in einfachen Worten und für jedermann verständlich erklären zu können. Der Legende nach soll Feynman diese Fähigkeit im Rahmen einer Lerngruppe trainiert haben, die extra zu diesem Zweck gegründet worden war.
Die Feynman-Methode
Hinter der Feynman-Methode steckt ein rekursiver Prozess, der darauf abzielt, Wissenslücken offenzulegen und tiefes Verständnis entstehen zu lassen:
Schritt #1: Thema auswählen
Wähle ein Thema, zu dem du dein Verständnis vertiefen möchtest.
Nimm ein weißes Blatt Papier und schreibe alles auf, was du bereits über dieses Thema weißt.
Schritt #2: In einfachen Worten erklären
Trage das Thema in einfachen Worten frei vor.
Sprich laut und stelle dir ein interessiertes Laienpublikum vor, das noch nie von dem Thema gehört hat. Da dein Publikum weder Fremdworte noch Fachbegriffe versteht, musst du diese durch einfache Worte und/oder Analogien ersetzen.
Schritt #3: Wissenslücken schließen
In Schritt #2 wirst du immer wieder ins Stocken geraten. Darüber solltest du dich freuen, denn wenn es jetzt passiert, kannst du verhindern, dass es in der Klausur oder Prüfung passieren wird.
Schließe alle Wissenslücke, indem du nachrecherchierst.
Schritt #4: Schreibe es auf (optional)
Sobald du das Thema in einfachen Worten flüssig vortragen kannst, solltest du dir die Mühe machen, deine Geschichte schriftlich festzuhalten.
Darum funktioniert die Feynman-Methode
Klar kannst du die Feynman-Methode nutzen, ohne zu verstehen, warum sie so gut funktioniert. Aber wäre das nicht irgendwie … inkonsequent?
Schauen wir der Feynman-Methode einmal unter die Haube.
Die Feynman-Methode setzt auf beständige Gedächtnisinhalte
Das Format, in dem die gelernten Inhalte in unserem Gedächtnis gespeichert werden, bestimmt die Rate, mit der wir das Gelernte wieder vergessen. Die Feynman-Methode setzt auf das beständigste Format: Prinzipien und Gesetzmäßigkeiten.
(Mit welcher Geschwindigkeit wir die gelernten Inhalte wieder vergessen, erfährst du in meinem Artikel über die Vergessenskurve.)
Die Feynman-Methode fördert Elaboration
Elaboration bzw. Verarbeitungslernen bezeichnet den Prozess der vertieften Informationsverarbeitung beim tiefgründigen Lernen. Das neu erworbene Wissen wird in die bereits vorhandenen Strukturen des Langzeitgedächtnisses integriert.
Je enger das Netzwerk geknüpft wird, umso leichter fällt das Auffinden und Abrufen der Lerninhalte. Zugleich wird die Wahrscheinlichkeit des Vergessens drastisch verringert.
Die Feynman-Methode setzt auf Verständnis (statt Information)
In seinem autobiografischen Werk Sie belieben wohl zu scherzen, Mr. Feynman berichtet der Physiker von Beobachtungen, die er 1951/52 während eines Sabbaticals am Physikalischen Forschungszentrum in Rio de Janeiro gemacht hatte.
In einem Fortgeschrittenen-Kurs über Elektrizität und Magnetismus unterrichtete Feynman eine Gruppe von Studenten. Ihm fiel auf, dass sie sämtliche Definitionen aus dem Effeff beherrschten, ohne jedoch Verständnisfragen beantworten zu können.
»Wenn sie hörten: ‚Licht, das von einem Medium mit Brechungsindex reflektiert wird‘, wussten sie nicht, dass damit ein Material wie zum Beispiel Wasser gemeint war. Sie wussten nicht, dass die ‚Richtung des Lichts‘ die Richtung ist, in der man etwas sieht, wenn man darauf schaut, und so weiter. Alles war ganz und gar auswendig gelernt worden, aber nichts war in sinnvolle Worte übersetzt worden.«
Später stieß Feynman auf die Grundursache des Problems: In den Vorlesungen, die die brasilianischen Studenten hörten, diktierte man ihnen Definitionen, die im Examen abgefragt wurden. Es gab weder Aufgaben noch Experimente. Eigenständiges Denken war weder erforderlich noch erwünscht.
Unter den Studenten herrschte ein seltsames Klima, das Feynman so beschreibt:
»Es ging darum, den anderen immer um eine Nasenlänge voraus zu sein, wobei niemand wusste, was vorging, und jeder den anderen von oben herab behandelte, als wüsste er es. Sie täuschten alle Wissen vor, und wenn ein Student nur einen Augenblick zugab, dass etwas verwirrend war, indem er eine Frage stellte, wurden die anderen überheblich, taten so, als sei es überhaupt nicht verwirrend, und sagten ihm, er verschwende ihre Zeit.«
Obwohl viele Brasilianer Physik studierten, brachte die Universität praktisch keine erfolgreichen Physiker hervor.
»Alle arbeiten so hart, aber nichts kommt dabei heraus.«
Weitere wissenschaftlich fundierte Lerntechniken findest du in meinem Übersichtsartikel über Lerntechniken.
PS: Die Beherrschung effektiver Lerntechniken stellt eine von drei Stellschrauben dar, über die du deinen Lernerfolg maßgeblich beeinflussen kannst. Die komplette Geschichte steht in meinem Buch Überflieger-Formel*. Es enthält die wichtigsten aktuellen Forschungsergebnisse zu allen drei Stellschrauben (Lerntechniken, Bedingungen und Umsetzung) und erklärt dir, wie du sie für deinen Erfolg im Studium nutzen kannst.