18.09.2021 / Dr. Jan Höpker / Kategorie: Persönlichkeitsentwicklung

Komfortzone verlassen und erweitern

„Raus aus der Komfortzone!” Diese Aufforderungen hört man in der Per­sönlich­keits­entwicklungs­szene häufig. Was ist dran? Muss man die Komfortzone wirklich verlassen, oder sind diese Floskeln am Ende doch wieder nur heiße Luft?

Was ist die Komfortzone?

Der Begriff Komfortzone ist ein wenig irreführend, denn er suggeriert, dass es dort immer angenehm ist.

In Wahrheit kann es in der Komfortzone durchaus unangenehm werden, insbesondere wenn man sie schon länger nicht mehr verlassen hat.

Dann nämlich wird die Komfortzone immer kleiner und kleiner. Sie gleicht dem Auge eines Wirbelsturms, einem Ort, an dem man sich verständlicherweise nicht wohlfühlt obwohl dort Windstille herrscht.

Die Merkmale der Komfortzone

An einem typischen Tag halten sich die meisten Menschen die meiste Zeit über innerhalb ihrer Komfortzone auf: Sie befinden sich in einer gewohnten Umgebung und tun gewohnte Dinge.

In der Komfortzone gibt es Sicherheit

Innerhalb des Komfortbereichs kommt es nur selten zu unerwarteten Ereignissen. Es gibt kaum Überraschungen – weder im positiven, noch im negativen Sinne.

Die Folge:

  • Man wird kaum Neues lernen, denn man kennt schon alles
  • Man wird keine intensiven Gefühle erleben – weder negative noch positive

In der Komfortzone muss man nicht denken

Innerhalb der Komfortzone reichen unsere gewohnten Strategien aus, um unsere Ziele zu erreichen. Intensives Nachdenken ist hier nicht erforderlich.

Das Gehirn läuft auf Sparflamme und verbraucht vergleichsweise wenig Energie in Form von Blutzucker.

Das ist übrigens auch der Grund, warum es außerhalb der Komfortzone so anstrengend ist: Der Energieverbrauch ist hier deutlich höher, was dazu führt, dass man schnell ermüdet.

Zwei weitere Zonen

Außerhalb des Komfortbereichs gibt es noch zwei weitere Zonen:

  • Die Lernzone (oder Wachstumszone)
  • Die Panikzone

In der Lernzone herrscht anregender Stress

Per se ist Stress weder gut noch schlecht, es hängt von der Intensität ab.

In geringer Dosierung wirkt Stress anregend auf Körper und Geist. Anregender Stress wird als Eustress bezeichnet.

Unsere Leistungsfähigkeit ist in diesem Zustand besonders hoch. Dieser Zustand kennzeichnet die Lernzone.

In der Panikzone herrscht lähmender Stress

Wenn der Stress ein bestimmtes Maß übersteigt, geht er in Panik über und wirkt sich stark negativ auf die Leistungsfähigkeit aus.

Hier befinden wir uns in der Panikzone. Man spricht von Disstress.

Komfortzone-Lernzone-Panikzone

(A) Komfortzone – Lernzone (oder Wachstumszone) – Panikzone (B) Unsere Leistungsfähigkeit in den entsprechenden Zonen: In der Lernzone leisten wir am meisten. In der Panikzone sind wir nicht imstande etwas zu leisten.

Die Vor- und Nachteile der Komfortzone

Dass es sinnvoll ist, die Komfortzone regelmäßig zu verlassen, wird deutlich, wenn man die Entwicklung eines Menschen über einen längeren Zeitraum betrachtet.

Es gibt keinen Stillstand!

In der Komfortzone entwickelt man sich zurück

Da man innerhalb der Komfortzone nur selten von Unerwartetem überrascht wird, sodass man kaum dazu gezwungen ist, intensiv über Probleme und mögliche Lösungen nachzudenken, entwickelt man sich geistig zurück.

Die Komfortzone wird dadurch immer kleiner und am Ende sind wir schon wegen Kleinigkeiten völlig überfordert.

Die Abnahme der geistigen Leistungsfähigkeit ist messbar

Untersuchungen haben gezeigt: Zum Ende eines mehrwöchigen Erholungsurlaubes fallen die Ergebnisse von IQ-Tests um etwa 20 IQ-Punkte niedriger aus, als in einer weniger entspannten Phase des Lebens (Quelle).

Das Gehirn passt die Leistungsfähigkeit an die Anforderungen an

Man sollte seine Komfortzone zumindest so häufig verlassen, dass es nicht zu dieser Anpassung kommt. Ob man den Komfortbereich über diese minimal effektive Dosis hinaus öfters verlassen sollte, hängt davon ab, welche Ziele man verfolgt.

  • Wenn man sich selbst weiterentwickeln möchte, dann sollte man die minimal effektive Dosis möglichst weit überschreiten
  • Wenn man ein Ziel verfolgt, das außerhalb von einem selbst liegt, dann reicht die minimal effektive Dosis aus

In der Komfortzone ist man effizient

Überraschungen, insbesondere wenn sie negativ sind, können uns tagelang aus der Bahn werfen. Zwar kann eine positive Entwicklung angestoßen werden, aber die Produktivität leidet vorübergehend stark.

Wer an einem Projekt arbeitet, das Fokus erfordert, tut gut daran, die Komfortzone in dieser Zeit möglichst nicht zu verlassen.

Während der Arbeit an meinem Buch Erfolg durch Fokus & Konzentration habe ich mich fast zwei Monate lang in meiner Komfortzone verschanzt. So konnte ich die gesamte mir zur Verfügung stehende Energie in das Buch stecken.

In der Komfortzone ist man sicher

Auch wenn es keine absolute Sicherheit gibt: Die Gefahr, frühzeitig aus dem Leben zu scheiden, ist außerhalb des Komfortbereichs größer als innerhalb.

Von Menschen und Affen, die ihre Komfortzone leichtfertig verlassen haben, stammt der moderne Mensch nicht ab, denn sie sind ausgestorben. Diejenigen, von denen wir abstammen, hatten Angst davor, die Komfortzone leichtfertig zu verlassen.

Zum Verständnis

Eine Angst, die uns nur einziges Mal in unserem Leben davon abhält, uns in eine Situation zu bringen, die uns mit einer geringen Wahrscheinlichkeit das Leben kostet, bedeutet auf lange Sicht (viele Generationen) einen großen evolutionären Vorteil.

Die An- oder Abwesenheit einer solchen Angst kann darüber bestimmen, welche Art ausstirbt, indem sie langsam von der Erde verschwindet, und welche Art sich auf Dauer (langsam) immer mehr durchsetzt.

Fazit: Es kommt darauf an

Sowohl der Verbleib innerhalb der Komfortzone, als auch das Verlassen der Zone, sind mit Vor- und Nachteilen verbunden.

Es scheint mir nicht notwendig zu sein, ständig zum Selbstzweck die Komfortzone zu verlassen.

Auf der anderen Seite ist es aber auch nicht sinnvoll, sich immer nur zu schonen.

Der beste Kompromiss: die Komfortzone gezielt und bewusst verlassen

Die Komfortzone gezielt und bewusst zu verlassen, heißt, zu wissen, was man tut und warum man es tut.

Wie man dabei konkret vorgehen kann, schauen wir uns gleich noch genauer an.

Zunächst sollten wir uns noch einmal kurz mit der Frage beschäftigen, warum wir von unserer Komfortzone wie von einem Magneten angezogen werden.

Was uns in der Komfort­zone festhält

Das Fehlen von Anreizen

Wenn es verführerische Anreize oder starken Druck gibt, ist jeder Mensch dazu in der Lage, seine Komfortzone sofort zu verlassen.

Wer sich dauerhaft in seiner Komfortzone verschanzt, hat oft einfach nur keine Ziele im Leben, für die es sich lohnt, Risiken einzugehen

(Wie man lohnende Ziele im Leben findet, erkläre ich meinem Artikel über Lebensziele.)

Schutz unserer Überzeugungen

Überzeugungen über den Haufen zu werfen, ist aus Sicht des Gehirns mit einem großen Haufen Arbeit und einem hohen Energieverbrauch verbunden. Viele neuronale Verbindungen müssen verändert werden.

Um diesen Aufwand zu vermeiden, beziehungsweise ihn nur dann in Kauf zu nehmen, wenn er gerechtfertigt ist, schützen wir unsere Überzeugungen, indem wir Gegenbeweisen aus dem Weg gehen und gezielt nach Bestätigung für unsere Version der Wahrheit suchen.

Wir verbleiben in unserer Komfortzone, um unsere Überzeugungen zu schützen.

Angst vor Fehlern

Da wir alle ein Bildungssystem durchlaufen haben, das auf Bestrafung und dem Ausmerzen von Fehlern aufgebaut ist, wurden wir darauf konditioniert, Angst vor Fehlern zu haben und diese zu vermeiden.

Weil die Gefahr für Fehler außerhalb unserer Komfortzone groß ist, bleiben wir zum Selbstschutz in unserer Komfortzone.

Angst vor der Angst

Außerhalb unserer Komfortzone fühlen wir uns nicht wohl. Ein wenig Angst ist hier ganz normal.

Männern wurde lange Zeit eingetrichtert, dass echte Männer keine Angst haben. Also verbleiben sie in ihrer Komfortzone, um ihre Männlichkeit zu schützen.

9 Tipps zum Verlassen der Komfortzone

Du willst deine Komfortzone zwar verlassen, aber du tust es nicht?

Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach?

Die folgenden 9 Ansätze helfen dir dabei, ins Handeln zu kommen.

Raus aus dder Komfortzone - die Komfortzone erweitern

Es lohnt sich, die Komfortzone zu verlassen, um in die Lernzone zu gelangen: Während man sich in der Lernzone aufhält, vergrößert sich die Komfortzone, d. h. man lernt, mit weniger Energieaufwand mehr zu erreichen.

#1 | Aktiviere deinen Körper

Wenn wir motiviert sind, fällt es uns nicht schwer, aktiv zu werden.

Dies hat auch damit zu tun, dass unser Körper beim Vorhandensein von Motivation auf die körperliche Aktivität vorbereitet wird: Die Herzfrequenz und der Blutdruck steigen an, um die für die Aktivität erforderliche Energie bereitzustellen.

Wenn es uns an Motivation fehlt, kommt es nicht zu dieser Aktivierung.

Die Folge: Wir können nicht aktiv werden, selbst dann nicht, wenn wir auf einer rationalen Ebene aktiv werden wollen. (Auch unser Körper muss sich an die physikalischen Gesetze halten)

Dieses Problem lässt sich lösen, indem man seinen Körper durch leichte körperliche Aktivität für den Eintritt in die Lernzone aktiviert.

#2 | Lerne mit Ängsten umzugehen

Viele Menschen wissen nicht, wie sie mit ihren Befürchtungen und Ängsten, die beim Eintritt in die Lernzone zwangsläufig auftauchen werden, umgehen sollen.

Anstatt die negativen Gefühle zu akzeptieren und sie zuzulassen, verkrampfen sie, in der Hoffnung, dass die Angst dadurch wieder verschwindet.

Das wird aber nicht passieren. Im Gegenteil: Je mehr man sich gegen negative Gefühle wehrt, umso intensiver werden die negativen Gefühle.

Alle Menschen haben Angst!

Wir leben in einer Gesellschaft, in der derjenige, der Schwächen zeigt, (vermeintlich) einen Nachteil hat.

Die meisten Menschen vermeiden es daher, ihre Ängste offen zu zeigen. So entsteht der Eindruck, dass man Ängste verbergen muss, und dass andere Menschen keine Ängste haben.

Fakt ist: Alle Menschen haben Angst, und es ist völlig normal und in Ordnung, Angst zu haben.

#3 | Plane kleine Schritte

Ein großer Schritt besteht aus vielen kleinen Schritten, und es gibt kein Gesetz, das vorschreibt, dass man sofort den ganzen Weg gehen muss.

Wenn man es nicht schafft, den kompletten Weg zu gehen, zerlegt man ihn in kleine Schritte, die man der Reihe nach geht.

Wer sich zum Beispiel nicht traut, vor die Tür zu gehen, um fremde Menschen anzusprechen, geht erst einmal ohne diese Absicht vor die Tür.

#4 | Erzeuge Motivation

Es fällt uns leichter, in die Lernzone einzutreten, wenn wir große Ziele haben, die zu uns passen weil sie mit unseren Werten harmonieren.

#5 | Entwickle realistische Erwartungen

Ein häufiger Grund, aus dem wir nicht aktiv werden, sind unrealistische Erwartungen an die Folgen unserer Handlungen.

In vielen Fällen basieren unsere Erwartungen nicht auf persönlichen Erfahrungen, sondern auf übertrieben negativen Berichten aus den Medien.

Wer sich öfters in die Lernzone begeben möchte, sollte negative Medienberichte lieber meiden.

#6 | Beschreibe dein Vorhaben positiv

Um aktiv werden zu können, brauchen wir gute Gründe. Das Bild des Verlassens der Komfortzone dürfte seltener zum Erfolg führen, als das Eintreten in die Lernzone.

#7 | Lasse dich in die Lernzone hineinschubsen

Es ist leichter, in die Lernzone einzutreten, wenn man hineingeschubst wird. (Siehe dazu meinen Artikel über den libertären Paternalismus.)

Meiner Erfahrung nach bewirkt schon die Gegenwart von erfolgreicheren Menschen, dass man wie automatisch über seinen Schatten springt.

Dazu muss man diese Menschen nicht einmal zwangsweise persönlich treffen. Man kann auch ihre Bücher lesen oder Vorträge und Dokumentationen bei YouTube ansehen.

#8 | Nutze Gedanken-Tricks

Dass wir nicht aktiv werden, liegt häufig daran, dass wir uns zu sehr auf den Worst Case fokussieren und als Folge davon in eine Starre verfallen.

Diese Blockade lässt sich lösen, indem man sich die folgenden drei Fragen der Reihe nach stellt:

  1. Was könnte schlimmstenfalls passieren? (Was wäre daran so schlimm?)
  2. Was wird im wahrscheinlichsten Fall passieren? (Woher weiß ich, dass es der wahrscheinlichste Fall ist?)
  3. Was könnte bestenfalls passieren? (Was kann ich tun, um diesen Fall wahrscheinlicher zu machen?)

#9 | Trainiere mit Komfortzone-Übungen

Es gibt Übungen, mit denen man das Eintreten in die Lernzone trotz eines mulmigen Gefühls trainieren kann.

Zum Beispiel:

  • Im Restaurant grundsätzlich eine Extrawurst bestellen (etwas bestellen, das nicht auf der Speisekarte steht)
  • In der Schlange an der Supermarktkasse fragen, ob man vor darf

Kennst du weitere Übungen? Ich freue mich auf deinen Kommentar unter dem Artikel :)

Natürlich geht es auch noch krasser:

Hi, hier schreibt Dr. Jan Höpker. Ich bin Wissenschaftler (Chemiker), Autor und Gründer der Websites HabitGym und Der perfekte Ratgeber. Mit meinem Buch Erfolg durch Fokus & Konzentration habe ich bis heute mehr als 20.000 Leser erreicht und ihnen dabei geholfen, fokussierter zu leben, zu lernen und zu arbeiten. Hier erfährst du mehr über mich.

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  • Sehr geehrter Herr Höpker

    Danke für Ihren interessanten und lehrreichen Artikel.

    Mir ist nun folgendes passiert: Ich habe meine Komfortzone verlassen – trotz mulmigem Bauchgefühl.
    Und jetzt ist die Sache ganz schön schiefgegangen. Ich habe nun ein schlechtes Gewissen, weil ich meine Komfortzone verlassen hatte. Ich hatte von Anfang an ein mulmiges Gefühl und ich habe die Sache trotzdem gemacht. Nun lerne ich natürlich daraus: „Verlasse Deine Komfortzone möglichst nicht mehr, damit Dir solche Missgeschicke nicht mehr passieren”. Ich glaube kaum, dass ich in Zukunft den Mut haben werde, meine Komfortzone nochmals zu verlassen…

  • Man könnte fremde Menschen auf der Straße nach dem aweg fragen, dabei das eigene Smartphone mit Google Maps gut sichtbar in der Hand halten :)
    Die meisten Menschen sind unglaublich hilfsbereit hab ich festgestellt.

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