02.09.2021 / Dr. Jan Höpker / Kategorie: Fokus & Konzentration

Konzentration auf das Wesentliche

In einer Welt mit immer mehr Ablenkungen wird es immer schwieriger, sich auf das Wesent­liche zu konzentrieren. Und um sich auf das Wesentliche konzentrieren zu können, muss man erst einmal wissen, was das Wesentliche überhaupt ist. Ein erfülltes Leben hängt in besonderem Maße von drei Säulen ab. Welche das sind, und was von den meisten Menschen überbewertet wird, erkläre ich in diesem Artikel.

Ist glücklich sein das wichtigste im Leben?

Wenn man ihnen die Frage stellt, worum es im Leben geht, dann werden viele Menschen diese Antwort geben:

Glücklich sein!

Anhand von zwei Fragen möchte ich zeigen, dass Glücklichsein nicht das wichtigste Ziel im Leben sein kann.

Nehmen wir an dass, du das Glück hast, morgen eine Reise anzutreten, auf die du dich schon lange freust. Du hast eine Reiserücktrittsversicherung abgeschlossen, die es dir erlaubt, den Urlaub abzusagen, ohne einen Grund nennen zu müssen.

Frage #1:

Würdest du die Reise antreten, wenn du wüsstest, dass am Rückreisetag sämtliche Erinnerungen an die Reise aus deinem Gedächtnis gelöscht werden?

Frage #2:

Würdest du dir für Geld Schmerzen zufügen lassen, wenn die Erinnerung an die Schmerzen sofort wieder aus deinem Gedächtnis gelöscht würde?

(Hinweis: Die schmerzliche Prozedur hinterlässt keine bleibenden Schäden.)

Die meisten Menschen würden den Urlaub absagen, und sie wären bereit, sich Schmerzen zufügen zu lassen. Das jedenfalls schreibt der Nobelpreisträger Daniel Kahneman in seinem sehr zu empfehlenden Buch Schnelles Denken, langsames Denken*.

Seine Erklärung lautet folgendermaßen:

Glücklich sein ist nicht das wichtigste im Leben

Das wichtigste im Leben ist eine gute Lebensgeschichte!

Wir Menschen besitzen zwei Selbste: das erinnernde Selbst und das erlebende Selbst. Die beiden Selbste verfolgen unterschiedliche Ziele. Das erlebende Selbst möchte im Moment glücklich sein und Schmerzen vermeiden – und das erinnernde Selbst möchte eine gute Lebensgeschichte in der Erinnerung erschaffen.

Wir sind das erinnernde Selbst

In dem Film Total Recall - die totale Erinnerung spielt Arnold Schwarzenegger einen Bauarbeiter, der sich die Erinnerung an einen Urlaub auf dem Mars in sein Gedächtnis einpflanzen lässt. Er bezahlt für eine Erinnerung an ein Erlebnis, das niemals stattgefunden hat.

„Dem erlebenden Selbst geht es um ein glückliches Leben ohne Schmerz und Negativität, aber das erinnernde Selbst möchte ein erfülltes Leben. Es möchte ein Leben, das eine gute Geschichte hermacht.”

Jede gute Geschichte braucht Höhen und Tiefen! Rückschläge und Niederlagen sollten natürlich nicht geplant oder aktiv herbeigeführt werden – aber man sollte sie nicht um jeden Preis verhindern. Sonst hätte man zwar vielleicht ein glückliches, aber garantiert kein erfülltes, Leben.

Viele Dinge versprechen mehr Glück und Unglück, als sie tatsächlich liefern – und andere Dinge liefern mehr, als sie versprechen. Leider werden viele Menschen von einem erfüllten Leben abgehalten, weil sie immer wieder auf die gleichen leeren Versprechen hereinfallen, während sie die wahren Schätze übersehen.

Leere Versprechen

Im Grunde kann man auf alles verzichten, was weder dem erlebenden Selbst noch dem erinnernden Selbst dabei hilft, seine Ziele zu erreichen. All die Dinge, die nicht das Glück liefern, das sie versprechen, und die außerdem nicht zu einer guten Lebensgeschichte beitragen, können aus dem Leben entfernt werden, denn sie gehören nicht zum Wesentlichen.

Das Problem ist, dass wir Menschen nicht besonders gut darin sind, einzuschätzen, wie lange Glück und Unglück anhalten werden.

Eine tragische Geschichte

Zwei eineiige Zwillingsbrüder haben zeitgleich einen Schicksalstag. Der eine Bruder hat einen Unfall, der ihn für den Rest seines Lebens an einen Rollstuhl fesseln wird, und der andere Bruder gewinnt den Jackpot im Lotto. Wer von den beiden wird ein Jahr später glücklicher sein? Die Intuition sagt: Der Lottogewinner wird sehr viel glücklicher sein! Die Wissenschaft kann diese Einschätzung nicht bestätigen. Die meiste Zeit des Tages werden die beiden in etwa gleich glücklich sein.

Nur die Dinge, die wir im Fokus haben, tragen zum empfundenen Glück und Unglück bei

Wie glücklich wir die meiste Zeit über sind, wird von zwei Faktoren bestimmt:

  1. Von unserem Charakter.
  2. Von den Dingen, die wir im Fokus haben (die Sachen, an die wir denken).

Nach einem Jahr wird sich der eine Bruder soweit an seine Lähmung – und die neuen Lebensbedingungen – gewöhnt haben, dass er nicht mehr ständig daran denken muss. Für den Lottogewinner gilt das gleiche: Das Geld ist zu einer Selbstverständlichkeit geworden.

Die Empathielücke vernebelt die Zukunft

Das Gehirn ist so verdrahtet, dass wir uns andere emotionale Zustände nur schwer vorstellen können. Man spricht von einer Empathielücke. In einem völlig entspannten Zustand können wir uns nur schwer vorstellen, in einer stressigen Situation die Fassung zu verlieren. Auf einer rationalen Ebene wissen wir schon, dass uns bestimmte Ereignisse aufregen werden – aber wir unterschätzen unsere tatsächliche Reaktion.

Aufgrund der Empathielücke können wir uns nicht vorstellen, eines Tages an einen aus heutiger Sicht erstrebenswerten Zustand gewöhnt zu sein – zum Beispiel daran, dass ein teurer Sportwagen in der Garage steht. Wir überschätzen den langfristigen Einfluss materieller Dinge auf unser Wohlbefinden. Wir sind dem Irrtum verfallen, dass das Glücksgefühl ewig anhält.

Wir gewöhnen uns an positive und negative Dinge. Bei den negativen Dingen gibt es jedoch einige Ausnahmen.

An diese negativen Dinge gewöhnt man sich niemals

Daniel Kahneman nennt drei Dinge, an die man sich niemals gewöhnt:

  • Chronische Schmerzen
  • Lärm
  • Eine schwere Depression

Der Glücksforscher Jonathan Haidt fügt einen vierten Punkt hinzu:

  • Stressige Wege zur Arbeit (Stau, überfüllte Bahnen und Busse etc.)

Wer dauerhaft glücklicher werden möchte, sollte nicht auf diejenigen (vermeintlichen) Glücksbringer setzen, an die man sich bereits nach kurzer Zeit gewöhnt hat. In diese Kategorie fallen die allermeisten materiellen Dinge.

Dauerhafte Glücksbringer

Dauerhafte Glücksbringer sind das Wesentliche im Leben – an sie gewöhnt man sich nie. Was brauchen wir für ein glückliches und erfülltes Leben?

#1 | Erfüllende soziale Beziehungen

Studien haben gezeigt, dass erfüllende soziale Beziehungen einen positiven Einfluss auf sämtliche Lebensbereiche haben – je älter man ist, umso mehr profitiert man von langjährigen sozialen Beziehungen. Es kommt nicht auf die Anzahl der Freunde an, sondern auf die Qualität der Freundschaften. Je mehr man gemeinsam erlebt hat, umso stärker ist die Bindung.

Freundschaften müssen aufgebaut werden, bevor man sie dringend braucht.

„Es ist nur leicht übertrieben, zu sagen, dass Glück die Erfahrung des Zusammenseins mit Menschen ist, die einen lieben und die man liebt.” (Daniel Kahneman)

#2 | Einen gesunden Körper und Geist

Dass eine gute Gesundheit wichtig ist und zu einem glücklichen und erfüllten Leben beiträgt, muss nicht erklärt werden. Erklärungsbedürftig scheint nur die Tatsache, dass man nicht gesund bleibt, indem man sich schont.

Die Wahrscheinlichkeit für einen dauerhaft gesunden Körper und Geist lässt sich mit gezielt eingesetzten Reizen erhöhen – man braucht Reize, die den Körper und Geist stärken. Reize, die uns schwächen, sollten verhindert werden. Wer sich zu sehr schont, baut ab – und wer sich zu sehr beansprucht, verbraucht sich. Es gilt einen Mittelweg zu finden.

#3 | Erstrebenswerte Ziele, an denen man persönlich wächst

Nicht jeder Mensch muss sich selbst verwirklichen und eine „Delle im Universum” hinterlassen, aber jeder Mensch braucht eigene Ziele im Leben.

Worauf es ankommt, ist proaktives Handeln. Man sollte nicht bloß Dinge tun, die von Eltern, Lehrer, Chefs und Partnern gefordert werden – man sollte auch aus eigenem Antrieb heraus Dinge tun. Nur so kann man die Erfahrung machen, selbst etwas bewirken zu können. Diese Erfahrung ist wichtig, denn sie bildet die Grundlage von Selbstbewusstsein und Optimismus.

Was uns vom Wesentlichen abhält

Die Werbung und die Gesellschaft halten uns ständig Scheinziele vor die Nase, die das große Glück versprechen, es am Ende aber nicht halten, weil es schnell zu Gewöhnungseffekten kommt.

  • Heiraten (weil die Beziehung dann angeblich besser wird).
  • Karriere machen (um endlich anzukommen).
  • Luxusgüter (damit jeder sieht, wie erfolgreich man ist).

Das Streben nach diesen Zielen hält uns davon ab, an denjenigen Zielen zu arbeiten, die unser Leben wirklich besser machen.

Fazit

Nur diejenigen Dinge und Ziele, die dauerhaft in unserem Fokus sind, machen uns dauerhaft glücklich. Daher gilt: Die Kontrolle über den eigenen Fokus ist eine Grundvoraussetzung für ein glückliches und erfülltes Leben.

P.S.: Wenn du lernen möchtest, wie du dich besser auf das Wesentliche konzentrieren kannst, dann könnte mein Buch Erfolg durch Fokus & Konzentration interessant für dich sein.

Hi, hier schreibt Dr. Jan Höpker. Ich bin Wissenschaftler (Chemiker), Autor und Gründer der Websites HabitGym und Der perfekte Ratgeber. Mit meinem Buch Erfolg durch Fokus & Konzentration habe ich bis heute mehr als 20.000 Leser erreicht und ihnen dabei geholfen, fokussierter zu leben, zu lernen und zu arbeiten. Hier erfährst du mehr über mich.

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  • Hey Jan,

    mal wieder ein sehr guter Artikel. Besonders zu, sagt mir der Part 3: „Ein erstrebenswertes Ziel. an dem man persönlich wächst”. Wobei ich immer mehr glaube, dass wir kein „Ziel” brauchen, sonder eine Aufgabe und MIssion. Etwas, was wir erfüllen müssen, um erfüllt zu sein. :)

    Grüßken,
    Yasemin.

      • he Jan,

        was verstehst du eigentlich unter „pro-aktiv”? Ich weiß, dass Stephen Covey den Begriff benutzt, aber bei ihm immer genutzt in der Gegenüberstellung proaktiv vs reaktiv.

        Ohne diese Dichotomie ist es sinnfrei vor „aktiv etwas tun” auch noch ein pro vorzuschalten. Mir scheint es etwas unnötig. 

        Gruß,
        Yasemin

      • Ja, ich meine pro-aktiv im Gegensatz zu re-aktiv (nach Stephen Covey). Ich glaube du hast recht und „aktiv” hätte es auch getan. Mir war die Unterscheidung wichtig, weil ich Leute kannte, deren einziges „Hobby” es war, YouTube Videos und Fernsehserien zu schauen. Von sowas wollte ich es abgrenzen, weil diese Art der Großhirnstimulation meiner Meinung nach nicht genügt. Man muss etwas tun und nicht nur konsummieren. 

        Ja, wenn ich länger darüber nachdenke, dann genügt „aktiv” ohne „pro-”.

        Danke für den Hinweis :)

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