Hier erfährst du, welche Lerntechniken deine Zeit verschwenden und welche die Wissenschaft als »nützlich« bewertet hat. Wenn du dir jetzt die Zeit nimmst und dir effektivere Lerntechniken aneignest, wirst du ein Leben lang profitieren.
Die Wissenschaft sagt: Die meisten Schüler und Studenten lernen mit ineffektiven Lerntechniken, oftmals ohne sich dessen bewusst zu sein. Dadurch haben sie unnötig viel Stress und zeigen Leistungen, die weit unter ihren Möglichkeiten liegen.
Schlechte Lerntechniken sind beliebt
Ich vermute, dass es an diesem Kreislauf liegt:
- Niemand weiß einfach so, welche Lerntechniken am effektivsten sind, denn die effektivsten Techniken sind nicht intuitiv. Man müsste sich durch wissenschaftliche Studien quälen, was die wenigsten tun.
- Wenn Menschen nicht wissen, welche Lerntechniken am effektivsten sind, dann nutzen sie beliebte Techniken, die ihnen wenig Mühe machen.
- Die Älteren dienen den Jüngeren als Vorbild und erteilen ihnen Ratschläge. So werden die schlechten Lerntechniken an die jüngere Generation weitergegeben.
Du kannst aus diesem Kreislauf aussteigen. Die Entscheidung musst du aber selbst treffen, und die Verantwortung liegt auch bei dir.
Metastudie: Dunlosky et al. (2013)
Das Thema Lernen interessiert die Wissenschaft seit über hundert Jahren. Es existieren Tausende Studien, in denen einzelne Methoden und Aspekte des Lernens untersucht wurden. Die gute Nachricht lautet: Du brauchst sie nicht alle selbst zu lesen, denn das haben andere bereits für dich getan.
Ein Team von Wissenschaftlern um den Kognitionspsychologen Prof. Dr. John Dunlosky hat mehr als 700 einzelne Studien zu einer Meta-Studie zusammengefasst. (Es soll allein zwei Jahre gedauert haben, alle Studien zu lesen.)
Es wurden nur solche Lerntechniken berücksichtigt, die weder Geld kosten noch technische Hilfsmittel erfordern. Außerdem wurde Wert darauf gelegt, dass die Techniken für eine große Bandbreite an Themen, Lernmaterialien und Personen anwendbar sind.
10 Lerntechniken die von Dunlosky et al. evaluiert wurden
- Erweiterte Befragung (elaborative Interrogation)
- Selbsterklärung (self-explanation)
- Zusammenfassungen (summarization)
- Hervorheben und Unterstreichen (highlighting/underlining)
- Eselsbrücken (keyword mnemonic)
- Visualisierung (imagery for text)
- Wiederholtes Lesen (rereading)
- Selbsttests/Abfragen (practice testing)
- Lernen über einen längeren Zeitraum (distributed practice)
- Verschachteltes Lernen (interleaved practice)
Auf Basis zahlreicher Studien und unter Berücksichtigung der oben genannten Kriterien wurden die Lerntechniken jeweils einer von drei Kategorien zugeteilt:
- Geringer Nutzen
- Mittlerer Nutzen
- Hoher Nutzen
Das Ergebnis der Studie in einem Satz:
Die unter Schülern und Studenten beliebtesten Lerntechniken sind leider »durchgefallen« – das gilt sowohl für das Wie als auch für das Wann.
Obwohl das negativ klingt, ist es eine gute Nachricht, denn es bedeutet, dass noch sehr viel Luft nach oben ist.
Schauen wir uns einmal an, wie Dunlosky et al. die zehn oben genannten Lerntechniken beurteilt haben.
Lerntechniken mit geringem Nutzen
Es folgen Lerntechniken, denen Dunlosky et al. nur einen geringen Nutzen zugeschrieben haben. Das bedeutet nicht, dass diese Techniken nicht mehr zum Einsatz kommen sollten – als Bestandteile einer gut durchdachten Lernstrategie haben sie sehr wohl eine Daseinsberechtigung.
Wenn du erfahren möchtest, wie eine effektive Lernstrategie aussieht und welche beiden Faktoren neben effektiven Lerntechniken außerdem noch zu berücksichtigen sind, empfehle ich dir, meinen Artikel zum Thema Lernstrategie zu lesen.
Zusammenfassungen (summarization)
Viele Schüler und Studenten lernen, indem sie eine Zusammenfassung des Lernstoffs anfertigen. Wie groß der Lerneffekt ist, hängt davon ab, ob wir unseren Text gedankenlos aus der Quelle abschreiben oder ihn bei zugedeckter Quelle in eigenen Worten formulieren.
Außerdem profitieren wir mehr, wenn wir unsere Zusammenfassung handschriftlich anfertigen, anstatt sie am Computer zu tippen.
So oder so zählt das Zusammenfassen zu den Lernmethoden, die nur einen geringen Nutzen haben. Eine Ausnahme von dieser Regel stellt die Cornell-Methode dar.
Hervorheben und Unterstreichen (highlighting/underlining)
Viele Schüler und Studenten lernen, indem sie Wichtiges unterstreichen oder mit einem Textmarker hervorheben.
Wer auf diese Weise lernt, behält die markierten Inhalte besser im Gedächtnis. Interessanterweise werden die nicht markierten Inhalte aber weniger gut behalten, als es beim bloßen Lesen der Fall wäre. Daher steht und fällt die Wirksamkeit dieser Lerntechnik mit der Fähigkeit, die relevanten Inhalte eines Textes identifizieren zu können.
Dass diese Lerntechnik nicht besonders effektiv ist, ist vermutlich auch der Grund für ihre Beliebtheit: Text zu markieren macht unserem Geist (zu) wenig Mühe.
Eselsbrücken (keyword mnemonic)
Bei dieser Lerntechnik wird der Lernstoff mit einem Schlüsselwort verknüpft, das dadurch zum Auslöser der gewünschten Erinnerung wird. Schüler und Studenten entscheiden sich insbesondere dann für dieses Vorgehen, wenn sie sich bestimmte Inhalte partout nicht merken können.
Die Wissenschaftler attestieren Eselsbrücken einen geringen Nutzen. Die meisten Eselsbrücken sind nicht nachhaltig, weil die Assoziation zwischen dem Lernstoff und dem Schlüsselwort schwach und daher unbeständig ist. Passende Eselsbrücken zu finden, verbraucht außerdem Zeit, die wir besser investieren könnten.
Wenn gute Eselsbrücken bereits vorhanden sind, sollten wir diese aber nutzen. Mit folgendem Spruch kann man sich beispielsweise merken, wie die Uhren im Herbst und Frühjahr umzustellen sind:
»Im Frühling hohlen wir die Gartenmöbel vor die Hütte, im Herbst stellen wir sie wieder zurück.«
Und dieser Spruch hilft beim Einprägen der Reihenfolge der acht Planeten des Sonnensystems:
»Mein Vater erklärt mir jeden Sonntag unseren Nachthimmel.«
(Die Anfangsbuchstaben der Worte entsprechen den Anfangsbuchstaben der Planeten: Merkur, Venus, Erde, Mars, Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun.)
Visualisierung (imagery for text)
Beim Visualisieren geht es darum, sich beim Lesen oder Zuhören vor dem geistigen Auge Bilder vorzustellen, welche die beschriebenen Inhalte symbolisieren. Die Idee dahinter: Bilder bleiben uns eher im Gedächtnis als abstrakte Zusammenhänge.
Das Jahrhundert-Genie Albert Einstein soll die Relativitätstheorie entwickelt haben, indem er sich vorstellte, auf einem Lichtstrahl durch die Galaxie zu reiten.
Ein großer Nachteil des Visualisierens dürfte darin bestehen, dass die ad hoc erdachten Bilder dazu verleiten, abzuschweifen. Außerdem hängt die Praktikabilität dieser Lerntechnik maßgeblich vom Lernstoff ab, denn nicht immer lässt sich dieser verbildlichen. Unter dem Strich attestieren die Wissenschaftler dem Visualisieren daher nur einen geringen Nutzen.
Wiederholtes Lesen (rereading)
Viele Schüler und Studenten setzen Lesen mit Lernen gleich. Dunlosky et al. zitieren eine Umfrage aus dem Jahr 2003, in der 65 Prozent der befragten Studenten angaben, auf diese Art und Weise zu lernen. In einer neueren Umfrage wurde das wiederholte Lernen von 55 Prozent der befragten Studenten als die am häufigsten genutzte Lerntechnik genannt.
Wer einen Text mehrfach liest, behält tatsächlich mehr von dessen Inhalt als jemand, der den gleichen Text nur einmal liest. Dieser Effekt ist größer, wenn zwischen den Durchgängen einige Zeit vergeht (spaced rereading).
Trotz seiner großen Beliebtheit schneidet das wiederholte Lesen im Vergleich zu anderen Lerntechniken schlecht ab. Die Lerninhalte werden gar nicht oder nur sehr oberflächlich mit dem bereits vorhandenen Wissen verknüpft.
Lerntechniken mit mittlerem Nutzen
Erweiterte Befragung (elaborative Interrogation)
Bei der erweiterten Befragung setzt man sich anhand von Fragen mit dem Lernstoff auseinander:
- Warum sollte das wahr sein?
- Welches Prinzip steckt dahinter?
- Warum nutzt man hier diese und nicht eine anderen Formel?
- usw
Während das Gehirn nach einer Antwort sucht, kommt es zu einer tiefgründigen Auseinandersetzung, bei der unser fachspezifisches Vorwissen mit den neuen Inhalten verknüpft wird. Diese Art der Informationsverarbeitung wird als Elaboration bezeichnet.
Schüler und Studenten profitieren umso mehr von der erweiterten Befragung, je mehr fachspezifisches Vorwissen sie haben.
Dunlosky et al. erklären, dass der langfristige Nutzen der erweiterten Befragung noch nicht zufriedenstellend untersucht wurde. Bis dahin stufen sie diese Lerntechnik in die Kategorie mittlerer Nutzen ein.
Eine beliebte Lerntechnik, die auf Elaboration basiert, ist die Feynman-Methode.
Selbsterklärung (self-explanation)
Eine weitere Lerntechnik, die auf Elaboration basiert und bei der die zu lernenden Inhalte in die bereits vorhandenen Strukturen des Langzeitgedächtnisses integriert werden, ist die sogenannte Selbsterklärung.
Im Gegensatz zur erweiterten Befragung erfordert die Selbsterklärung kein fachspezifisches Vorwissen, denn in diesem Fall wird der Lernstoff mit unseren autobiografischen Gedächtnisinhalten verknüpft. Das erreichen wir, indem wir uns an diesen und ähnlichen Fragen orientieren:
- Was bedeutet diese Information für mich?
- Was ist für mich neu an dieser Information?
Einen Nachteil sehen Dunlosky et al. in dem hohen zeitlichen Aufwand, der mit dieser Lerntechnik einhergeht.
Verschachteltes Üben (interleaved practice)
Beim verschachtelten Üben werden verschiedene Aufgabentypen in einer einzigen Sitzung geübt. Dadurch wird die Fähigkeit trainiert, zwischen verschiedenen Aufgabentypen hin und her zu wechseln.
In mathematischen Fächern führt diese Art zu lernen nachweislich zu deutlich besseren Prüfungsergebnissen.
Lerntechniken mit hohem Nutzen
Selbsttests/Selbstabfrage (practice testing)
Klausuren, Tests und Prüfungen sind ein Schreckgespenst vieler Schüler und Studenten. Kein Wunder, dass sie allem, was nach Test aussieht, konsequent aus dem Weg gehen. Das ist bedauerlich, denn Tests offenbaren nicht nur Wissenslücken, sondern zählen zu den effektivsten Lerntechniken.
Der Grund: Die Verbindungen zwischen unseren Nervenzellen, die unsere Gedächtnisinhalte repräsentieren, festigen sich immer dann (und nur dann), wenn wir uns diese Inhalte aus dem Langzeitgedächtnis heraus in Erinnerung rufen. Die Wissenschaftler sprechen vom sogenannten aktiven Erinnern (active recall). Je mehr Mühe das Erinnern bereitet, umso stärker ist dieser Effekt (testing effect).
Auch gescheiterte Abrufversuche haben einen Wert: Sie erleichtern das zukünftige Lernen der entsprechenden Inhalte, weil das Gehirn dazu angeregt wird, die später präsentierten Antworten gründlicher zu verarbeiten.
Lerninhalte festigen sich nur, wenn sie aus dem Langzeitgedächtnis heraus aktiviert werden. Sowohl die Aktivierung aus dem Kurzzeitgedächtnis als auch die Exposition von außen bringt praktisch gar nichts. Einer Erzählung nach soll ein Prediger aus den USA nicht in der Lage gewesen sein, ein Gebet auswendig vorzutragen, das er bereits 3000-mal vorgelesen hatte. Ob die Geschichte wahr ist oder nicht – unrealistisch ist sie nicht.
Übungsaufgaben, Altklausuren, Karteikarten und alle anderen Methoden, die das aktive Erinnern anregen, zählen zu den effektivsten Lerntechniken.
Wenn wir Feedback zu unseren Antworten erhalten, können wir es vermeiden, bereits Bekanntes doppelt zu lernen, und wir können unseren Wissenslücken das Maximum an Energie und Aufmerksamkeit widmen. Jedoch sollte das Feedback nicht unmittelbar, sondern mit einiger zeitlicher Verzögerung erfolgen.
Lernen über einen längeren Zeitraum (distributed practice)
Hier geht es nicht um eine Lerntechnik im engeren Sinne, sondern um die bestmögliche Antwort auf die Frage: Wann sollte man lernen?
Schüler und Studenten neigen dazu, sich zum spätestmöglichen Zeitpunkt auf Tests, Prüfungen und Klausuren vorzubereiten. In diesem Zusammenhang spricht man auch vom Pauken, Bulimie-Lernen oder dem sogenannten massierten Üben.
Die Forschung hat klar gezeigt, dass dies nicht die effektivste Art zu lernen ist. Mit sogenannten verteilten Wiederholungen (spaced repretition) lassen sich deutlich bessere Ergebnisse erzielen, ohne insgesamt mehr Zeit mit dem Lernen zubringen zu müssen.
Beim verteilten Wiederholen wird der sogenannte spacing effect ausgenutzt: Inhalte, die über einen längeren Zeitraum gelernt werden, bleiben länger im Gedächtnis als Inhalte, die innerhalb eines kurzen Zeitraums gelernt werden.
Mit dem sogenannten Leitner-System (Lernkartei) sowie der Open-Source-Software Anki lassen sich verteilte Wiederholungen ganz einfach praktisch umsetzen.
Eine weitere Lerntechnik mit hohem Nutzen?
Dunlosky et al. haben nicht sämtliche Lerntechniken, sondern nur eine Vorauswahl an Techniken unter die Lupe genommen. Dabei wurde eine Technik nicht berücksichtigt, obwohl sie ebenfalls einen hohen Nutzen haben dürfte.
Strukturieren
Lerntechniken, bei denen der Lernstoff strukturiert wird, dürften ebenfalls effektiv und damit nützlich sein. Erstens können wir uns strukturierte Inhalte nachweislich besser merken, und zweitens fördert das Strukturieren die tiefgründige Auseinandersetzung mit dem Lernstoff.
Zu den konkreten Lerntechniken, die auf Strukturierung basieren, zählen Mindmaps, Listen und der sogenannte Gedächtnispalast.
Aus strategischer Sicht empfiehlt es sich, den Lernstoff erst zu strukturieren und anschließend die Details zu den einzelnen Kategorien zu lernen.
In meinem Artikel zum Thema Lernen lernen zeige ich dir, wie du selbst beurteilen kannst, ob eine Lerntechnik effektiv ist oder nicht.
Von Lerntechniken zur Lernstrategie
Die Beherrschung effektiver Lerntechniken stellt eine von drei Stellschrauben dar, über die du deinen Lernerfolg maßgeblich beeinflussen kannst. Die komplette Geschichte steht in meinem Buch Überflieger-Formel*. Es enthält die wichtigsten aktuellen Forschungsergebnisse zu allen drei Stellschrauben (Lerntechniken, Bedingungen und Umsetzung) und erklärt dir, wie du sie für deinen Erfolg im Studium nutzen kannst.