Wer selbstbestimmt lernt, wird im Leben mehr Erfolg haben als diejenigen, die Bestnoten hinterherlaufen. Doch wie gelingt das selbstbestimmte Lernen?
Der von der Menschheit produzierte Berg an nützlichem und unnützem Wissen wächst immer schneller an. Doch nicht nur neues Wissen, sondern auch altes Wissen, das bis vor kurzem irrelevant schien, ist zu einer Notwendigkeit geworden. Bis vor kurzem brauchte man kein Expertenwissen zu Themen wie zum Beispiel Stress, Schlaf und Ernährung, einfach weil die Wahrscheinlichkeit hoch war, dass man sich automatisch richtig verhalten hat. Diese Zeiten sind vorbei.
Das Wirtschaftssystem übt immer mehr Druck auf die Unwissenden aus. Es gibt zunehmend mehr Möglichkeiten, sich falsch zu verhalten. Wer sich heute nur nach Lust und Laune verhält, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit folgenschwere Fehler machen und in einen Teufelskreis geraten.
Auf die Schule sollte man sich nicht verlassen, denn schon aus zeitlichen Gründen wird das allermeiste relevante Wissen niemals in der Schule unterrichtet werden können. Relevantes Wissen zu erkennen und es sich selbst anzueignen, wird daher immer wichtiger werden. Wir befinden uns an der Schwelle zu einem neuen Zeitalter – dem Zeitalter des selbstbestimmten lebenslangen Lernens.
In den folgenden Abschnitten werden einige Denkweisen (Mindsets) vorgestellt, die das selbstbestimmte lebenslange Lernen begünstigen.
#1 – Pfeife auf Noten, aber nicht auf Feedback
Es lohnt sich nicht, Bestnoten hinterherzulaufen, nur um das eigene Ego zu streicheln, denn im echten Leben geht es nicht um Noten, sondern um ganz andere Dinge. Selbstverständlich gibt es Ort, die uns ohne Bestnoten verwehrt bleiben, aber sehr wahrscheinlich sind das Orte, von denen wir uns ohnehin fernhalten wollen, sobald wir einmal verstanden haben, worauf es im Leben wirklich ankommt.
Und außerdem:
Pradoxerweise könnte derjenige, der die Bestnote nicht zu seinem Primärziel macht, gerade deswegen viel eher in den Genuss der Bestnote kommen.
Aus diesen Gründen sollten wir auf Noten pfeifen:
1.) Noten sind ein Machtinstrument
Wer anderen die Macht über sich gibt, muss mit Nachteilen und Einbußen rechnen. Am stärksten leiden diejenigen Fähigkeiten, auf die es im Leben immer mehr ankommt: Kreativität, intrinsische Motivation und eigenständiges Denken und Handeln.
2.) Noten messen das falsche
Noten messen nicht (nur) die in Zukunft zu erwartende Kompetenz des Geprüften, sondern (auch) dessen Prüfungsleistung und wie sympathisch er dem Prüfer ist. Und ein Teil der ohnehin nur schwachen Vorhersagekraft von Noten und anderen Bewertungen kommt außerdem dadurch zustande, dass Bewertungen zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung werden.
3.) Noten lenken vom Wesentlichen ab
Wer großen Wert auf gute Noten legt, kann gar nicht anders, als seine Lernstrategie auf gute Noten hin zu optimieren. In einer perfekten Welt, in der nicht für Noten, sondern für die zukünftige Kompetenz gelernt würde, müssten die Schüler eine völlig andere Lernstrategie entwickeln. Noten verhindern, dass sie das tun. Begriffe wie Bulimielernen und Lernmarathon würde es in einer perfekten Welt nicht geben.
Verhalten braucht keine Bewertung, sondern Feedback!
Zu lernen bedeutet, ein auf ein bestimmtes Ziel ausgerichtetes Verhalten anzupassen, sodass das Ziel in Zukunft besser erreicht wird. Unser Verhalten wird von unserem Nervensystem produziert, und dieses Nervensystem ist von Natur aus dazu in der Lage zu lernen. Die Voraussetzung ist Feedback.
Warum Feedback Noten überlegen ist
Nehmen wir einmal an, dass ich mit verbundenen Augen auf dem Basketballfeld stehe und von einer fixen Position aus immer wieder auf den Korb werfe. Mein Trainer teilt mir nach jedem Wurf mit, ob ich getroffen habe und wie ich meinen Wurf korrigieren sollte. Zum Beispiel so:
„Etwas weiter werfen und etwas mehr nach links.”
Wurf – Feedback – Wurf – Feedback, und so weiter. Mit der Zeit wird meine Trefferquote sehr wahrscheinlich steigen.
Doch was würde passieren, wenn ich anstelle des sofortigen Feedbacks nach 10 Würfen eine zusammenfassende Bewertung erhalten würde?
„3 Treffer!”
Obwohl ich nun wüsste wie hoch meine Trefferquote war, könnte ich mich sehr wahrscheinlich nicht verbessern. Die Bewertung ist zu ungenau und sie kommt zum falschen Zeitpunkt – mein Nervensystem kann nichts mit ihr anfangen.
Feedback sollte unmittelbar nach dem vom Nervensystem produzierten Verhalten erfolgen. Dann sollte das Verhalten erneut produziert werden und es sollte erneut Feedback geben. Und immer so weiter. Vera Birkenbihl sprach vom sogenannten Ball-im-Tor-Effekt. Nur so ist schnelles Lernen möglich.
#2 – Verständnis schlägt Information
„Wir können doch von fast überall aus schnell auf das Internet zugreifen. Warum müssen wir da überhaupt noch Wissen im eigenen Kopf haben?”
Diese Frage wird häufig gestellt. Und sie ist ernst gemeint.
Die Sache ist: Zwar können wir jederzeit nach Informationen googeln, aber ohne Hintergrundwissen können wir die meisten Informationen weder einordnen noch bewerten. Wir können sie nicht verstehen. Wer ohne jegliches Verständnis zum Beispiel nach ’schnell abnehmen’ googelt und auf das neueste Präparat aus den Laboren der Nahrungsergänzungsmittelmafia stößt, wird nicht beurteilen können, ob dieses nun gut oder schlecht für ihn ist.
In einer Welt, in der Industrie und Wirtschaft ganz genau wissen, welche Bedürfnisse die Menschen haben, und wie man sie zum Kauf animiert, braucht man mehr als nur Informationen. Was man zusätzlich braucht, ist Verständnis.
Verständnis ist Information höherer Ordnung
Verständnis ist der Blick aus der Vogelperspektive. Verständnis ist Information über Informationen. Im Folgenden werde ich den Begriff Meta-Wissen verwenden. Um die Informationen aus dem Internet einordnen und bewerten zu können, muss ich wissen, wer Informationen im Internet veröffentlicht und warum er das tut. Darüber hinaus wäre es hilfreich, über mich selbst und meine Bedürfnisse Bescheid zu wissen.
Meta-Wissen kann scheinbar komplizierte Angelegenheiten erstaunlich einfach machen, weil der Blick automatisch in die richtige Richtung geht und den entscheidenden Punkt fokussiert. Je klarer ich meine Situation aus der Vogelperspektive sehe, umso besser verstehe ich sie und umso wahrscheinlicher kann ich eine Entscheidung zu meinen Gunsten treffen.
So nützlich ist Verständnis (ein konkretes Beispiel)
Das Telefon klingelt. Ein freundlicher Herr mit dem sonderbaren Namen Liebe teilt mir mit sanfter Stimme mit, dass ich für den Gewinn einer exklusiven Luxusreise im Wert von 3.000 Euro ausgewählt wurde. Herzlichen Glückwunsch! Normalerweise würden jetzt Steuern anfallen, aber mit einem raffinierten Trick könne man diese umgehen. Ich müsse nur eine Zeitschrift abonnieren und Herr Liebe würde sich dann um den Rest kümmern. Es gebe nur einen einzigen Haken: Ich müsse mich sofort entscheiden, weil die Regierung gerade im Begriff sei, diese Lücke im Steuergesetz zu schließen.
Was soll ich tun?
Auf der Sachebene ist die Situation ganz schön verzwickt, denn an vielen Punkten stößt mein Wissen an Grenzen. Zum Beispiel kenne ich die Steuergesetze nicht gut genug, um beurteilen zu können, ob die Sache mit dem Zeitschriftenabonnement stimmen kann. Mein Bauchgefühl sagt mir, dass ich vorsichtig sein sollte, aber auf der anderen Seite weiß ich aus den Medien, dass internationale Großkonzerne wie zum Beispiel Apple und Amazon auf ähnlich dubiose Art und Weise Steuern sparen.
Wer die Entscheidung auf dieser Ebene treffen muss, wird mit einiger Wahrscheinlichkeit zu dem Schluss kommen, dass es sich lohnt, ein paar Euro zu riskieren, um die Chance auf 3.000 Euro nicht verstreichen zu lassen. Die Angst eine andere Entscheidung später zu bereuen, ist viel zu groß.
Aus der Vogelperspektive gestaltet sich die ganze Angelegenheit sehr viel einfacher: Niemand, mit dem man nicht genetisch verwandt oder ähnlich stark verbunden ist, schenkt einem einfach so etwas Wertvolles, ohne daraus einen noch größeren Nutzen für sich selbst ziehen zu wollen. Worin besteht der Gewinn für die Gegenseite?
Außerdem hat der freundliche Anrufer eine ganze Reihe verbreiteter psychologischer Verkaufstricks angewendet. Es kann sich nur um einen versuchten Betrug handeln. Punkt. Guten Gewissens teile ich dem Anrufer mit, dass er sich seine Reise sonst wohin schieben kann. Meinem Blick aus der Vogelperspektive sei Dank konnte ich sehr wahrscheinlich bares Geld und jede Menge Zeit und Nerven sparen.
Hätte ich das Zeitschriftenabonnement nämlich abgeschlossen, dann hätte die mafiöse Organisation des Typen, der sehr wahrscheinlich gar nicht Liebe heißt, sondern diesen Namen nur wegen der positiven Assoziationen nutzt, die das Wort in meinem Gehirn aktiviert, meine Daten weiterverkauft, und ich hätte in Zukunft mit weiteren Betrügern zu tun gehabt.
Wie können wir erreichen, dass unser Bewusstsein nicht von dem in Aussicht gestellten Gewinn geblendet wird, sondern in die Vogelperspektive springt und den Betrug durchschaut? Zwei Dinge sind wichtig:
- Das entsprechende Meta-Wissen muss im Gehirn vorhanden sein
- und das Meta-Wissen muss mit den passenden Auslösern verknüpft sein, um im richtigen Moment aktiviert zu werden.
Kann Verständnis unterrichtet werden?
Nicht auf direktem Wege.
Es ist wie beim Erwerb der Muttersprache: Kinder lernen die grammatikalischen Regeln ihrer Muttersprache selbstständig, indem sie aus den im Alltag gehörten Sätzen unbewusst die Regelmäßigkeiten extrahieren. Dieses unbewusste Lernen findet größtenteils im Schlaf statt. Ein entsprechender Algorithmus ist im Gehirn vorinstalliert.
Die grammatikalischen Regeln auf direktem Wege zu unterrichten, würde nicht zum gleichen Ziel führen, denn in diesem Falle würden die Regeln vom Gehirn nicht in einer praxistauglichen Form abgespeichert werden.
Es ist wichtig zu verstehen, dass Meta-Wissen (Verständnis) nicht in einem Schritt von außen ins Gehirn eingebracht werden kann. Meta-Wissen wird erst vom Gehirn erzeugt. Und deswegen muss man eben doch viele Informationen im eigenen Kopf haben, auch wenn man sie theoretisch jederzeit googeln könnte:
Die im Gedächtnis gespeicherten Informationen sind der Stoff, aus dem das Gehirn selbstständig Verständnis macht.
#3 – Toleriere tolerable Wissenslücken
Ein Menschenleben ist viel zu kurz, um alles lernen zu können. Und mit dem von der Menschheit produzierten Berg an Wissen wachsen damit zwangsläufig auch die Wissenslücken der einzelnen Menschen.
Leider wurde uns in der Schule vermittelt, dass Wissenslücken schlecht sind und dass unser Nichtwissen jederzeit bestraft werden kann. Wir haben uns daher angewöhnt, unsere Wissenslücken und Schwachstellen vor uns selbst und anderen zu verstecken. Es wäre aber besser, mit Wissenslücken offen umzugehen.
#4 – Baue auf intrinsischer Motivation
Es gibt zwei grundverschiedene Arten der Motivation, die extrinsische und die intrinsische Motivation. Wer extrinsisch für eine bestimmte Handlung motiviert ist, führt diese Handlung aus, um sich eine Belohnung wie zum Beispiel Anerkennung, Sicherheit oder Geld zu verschaffen. Im Falle der intrinsischen Motivation gibt es keine solche Belohnung – die Handlung selbst ist die Belohnung. Das vielleicht beste Beispiel für eine intrinsisch motivierte Handlung ist das Spielen.
Unsere Aufmerksamkeit folgt unserer intrinsischen Motivation. Auf Dinge, für die wir uns wirklich interessieren, konzentrieren wir uns daher mühelos. Und bei Dingen, die uns kaltlassen, müssen wir uns anstrengen, um bei der Sache zu bleiben.
Auf einem bestimmten Fachgebiet werden daher immer diejenigen Menschen führend sein, die intrinsisch motiviert sind. Wer sein Fachgebiet aus sekundären Gründen gewählt hat, zum Beispiel weil ihm ein gutes Gehalt oder Sicherheit versprochen wurde, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit zweitklassig bleiben.
Echtes Interesse macht den Unterschied
Der Globalisierung, Automatisierung und Digitalisierung sei Dank hat jeder Mensch zumindest theoretisch die Möglichkeit, sein Leben um seine wahren Interessen herum aufzubauen.
Man braucht nicht viel Phantasie, um sich auszumalen, was passiert, wenn jemand, der für seine Arbeit brennt, gegen jemanden antritt, der nur Dienst nach Vorschrift macht. Jahrelang hatte die NASA eine Art Monopol auf Raumflüge. Ein Start des Space-Shuttles kostete rund eine halbe Milliarde US-Dollar. Dann trat das junge Raumfahrtunternehmen SpaceX auf den Plan und bot dieselbe Dienstleistung für nur 60 Millionen US-Dollar an.
Was Elon Musk, den Gründer von SpaceX antrieb und bis heute antreibt, ist der Wunsch, die Menschheit zu einer multiplanetaren Spezies zu machen, um dadurch die Wahrscheinlichkeit für ein baldiges Aussterben (zum Beispiel durch einen Meteoriteneinschlag) zu reduzieren. Nur wer etwas wirklich will, sucht und findet neue Wege, um dieses Ziel zu erreichen. Die Zukunft gehört denen, die sich auf diejenigen Dinge konzentrieren, die sie wirklich interessieren.
Ich kann dem Artikel nur zustimmen. Ich merke es immer wieder in der Uni, wie wertlos Noten eigentlich sind. Viele Prüfungen sind reine Single Choice Klausuren, in denen oft stur irgendwelche sinnlosen Definitionen abgefragt werden, die nicht das Verständnis, sondern das Auswendiglernen prüfen, wovon letzteres mir eher schwer fällt. Ob beispielsweise ein Gesetz in Paragraf 36 oder 37 steht ist vollkommen irrelevant. Ich bin aber jemand, der weiß wo er schauen müsste, um die Information zu finden und bin allgemein recht schnell mit Google unterwegs – gibt kaum Antworten, die ich im Internet nicht finde und seien sie noch so komplex oder verstreut, deswegen halte ich vom Auswendiglernen nicht viel. Ich habe bisher jede dieser Klausuren mit gesundem Menschenverstand und <1 Tag lernen bestanden, aber was heißt das bitte für meinen Abschluss, wenn eigentlich vorgesehen ist, dass man Vorlesungen besucht und das dort vermittelte „Wissen” abgefragt werden soll und das oft noch unter Stress und Bedingungen, die künstlicher nicht sein könnten. Ein Lehrstuhl ging gar so weit uns den ganzen Fragenkatalog zur Verfügung zu stellen, der 1:1 so in der Klausur abgefragt wurde