01.10.2021 / Dr. Jan Höpker / Kategorie: Selbstmotivation

Selbstwirksamkeit (Titelbild)

Jemand steht am Beckenrand und möchte gerne schwimmen, doch anstatt endlich ins Wasser zu gehen, beobachtet er wieder nur die anderen Schimmer und informiert sich zum x‑ten Mal über die Wassertemperatur und alle möglichen Schwimmtechniken.

Der nicht gewagte Sprung ins kalte Wasser steht für alle möglichen Herausforderungen, die wir nicht annehmen, obwohl wir doch eigentlich gute Gründe hätten, es tun. Warum springen wir nicht? Weil gute Gründe allein nicht ausreichen, um ins Handeln zu kommen; weil Motivation zwar eine notwendige, aber keine hinreichende Voraussetzung für das Aktivwerden ist.

Die zweite entscheidende Zutat ist Selbstwirksamkeit. Es ist die begründete Überzeugung, dass wir jemand sind, der es schaffen kann.

Das Ergebnis von Millionen Jahren Evolution ist ein Gehirn, das ausgesprochen gut darin ist, uns vor einer großen Bandbreite an Gefahren zu beschützen – Gefahren, die unser Überleben sowie das Überleben unserer Nachkommen direkt oder indirekt bedrohen.

Eine indirekte Gefahr, von der alle Menschen bedroht sind, ist die Verschwendung von knappen Ressourcen im Rahmen von langfristigen Projekten, mit denen wir nicht den gewünschten Erfolg haben. Zum Beispiel jahrelang zu studieren und am Ende doch ohne Abschluss dazustehen. Oder jahrelang einen einzigen Wunschpartner zu umwerben, ohne jedoch bei ihm (oder ihr) landen zu können.

So etwas zu verhindern, gehört zu den Aufgaben der Selbstwirksamkeit. Im Prinzip handelt es sich um eine datengestützte Prognose der Erfolgsaussichten einer Handlungsoption, die von unserem Gehirn berechnet wird, damit wir unsere Ressourcen möglichst effektiv einsetzen.

Was versteht man unter Selbstwirksamkeit?

Die Begriffe Selbstwirksamkeit (self-efficacy) und Selbstwirksamkeitserwartung (perceived self-efficacy) bzw. Selbstwirksamkeits-Überzeugung (self-efficacy beliefs) gehen auf den kanadischen Psychologen Albert Bandura zurück, der die entsprechenden Konzepte in den 1970er-Jahren im Rahmen der Sozialkogniven Lerntheorie entwickelt hat. Bandura wird zu den einflussreichsten Psychologen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gezählt.

Vereinfacht gesprochen, war Banduras wesentliche Erkenntnis, dass Menschen trotz vorhandener Motivation nur dann zur Tat schreiten, wenn sie eine positive Erwartung an ihre Selbstwirksamkeit haben, d. h. wenn sie davon überzeugt sind, dass sie der Herausforderung gewachsen sind.

Allgemeine und spezifische Selbstwirksamkeit

Neben der allgemeinen bzw. generalisierten Selbstwirksamkeitserwartung verfügen Menschen auch über sogenannte handlungsspezifische Selbstwirksamkeitserwartungen, die sich jeweils auf einen bestimmten Kontext wie zum Beispiel den erlernten Beruf oder eine bestimmte Sportart beziehen.

Von unserer Selbstwirksamkeit hängt ab, was wir in bestimmten Situationen wahrnehmen, fühlen und denken – und wie wir infolgedessen handeln. Menschen, die über eine starke Selbstwirksamkeit verfügen, gehen Wege und ergreifen Chancen, die von Menschen mit schwacher Selbstwirksamkeit oftmals gar nicht erst erkannt werden.

Selbstwirksamkeit basiert auf der sogenannten internalen Kontrollüberzeugung, der Überzeugung, grundsätzlich in der Lage zu sein, das eigene Schicksal gezielt beeinflussen zu können. Das Gegenteil wäre eine externale Kontrollüberzeugung, nach der das eigene Schicksal von unkontrollierbaren externen Faktoren bestimmt wird.

Der verstorbene Apple-Gründer Steve Jobs verfügte über eine ausgesprochen starke Selbstwirksamkeit. Wie es war, diese zu entdecken, hat er im Jahre 1994 in einem Interview mit der Santa Clara Valley Historical Association beschrieben. Frei aus dem Englischen übersetzt:

„Wenn du erwachsen wirst, erzählt man dir, dass die Welt ist, wie sie ist, und dass es Regeln gibt, die du akzeptieren solltest. Versuche, nicht zu sehr anzuecken. Gründe eine Familie, habe Spaß und lege etwas Geld für später zurück. Diese Art von Leben ist sehr limitiert. Das Leben wird schlagartig aufregender, sobald du dir einer einfachen Tatsache bewusst geworden bist: Alles um dich herum wurde von Menschen gemacht, die auch nicht klüger waren als du. Und du kannst die Dinge verändern … sobald du das erkannt hast, wirst du ein komplett anderer Mensch sein.”

In dem Buch Die 6 Säulen des Selbstwertgefühls erklärt der verstorbene US-amerikanische Psychotherapeut Nathaniel Branden, dass die Selbstwirksamkeit einem Vertrauen in die eigenen mentalen Prozesse und Fähigkeiten gleichkommt.

Demnach hängt die Selbstwirksamkeit nicht davon ab, ob wir schon zu Beginn einer Herausforderung über alles Wissen und alle Fähigkeiten verfügen, die für eine erfolgreiche Bewältigung notwendig sind oder notwendig werden könnten. Worum es vielmehr geht, ist die Überzeugung, dass wir prinzipiell in der Lage sind, uns bei Bedarf neues Wissen und neue Fähigkeiten anzueignen. Auch geht es nicht darum, frei von Fehlern zu sein. Sehr viel wichtiger ist, dass wir in der Lage sind, trotz Rückschlägen an einer Herausforderung festzuhalten und die Fehler zu korrigieren.

Wie entsteht Selbstwirksamkeit?

Albert Bandura hat untersucht, wie Selbstwirksamkeit entsteht. Er hat vier Faktoren identifiziert, die einen Einfluss haben.

Faktor #1: Eigene Erfahrungen

Unsere persönlichen Erfolge und Misserfolge wirken sich positiv bzw. negativ auf unsere Selbstwirksamkeit aus. Aufgrund der sogenannten selbstwertdienlichen Verzerrung wiegen unsere Misserfolge aber oftmals weniger schwer: Wir neigen dazu, Misserfolge auf äußere Ursachen zu schieben und Erfolge auf unserem eigenen Konto zu verbuchen. Bis zu einem gewissen Grad ist diese Form der Selbstüberschätzung eine gute Sache.

Die US-amerikanische Innovationswissenschaftlerin Melissa Schilling hat die Biografien von Überfliegern wie zum Beispiel Thomas Edison, Nikola Tesla, Steve Jobs und Elon Musk auf Gemeinsamkeiten untersucht. In ihrem Buch Quirky: The Remarkable Story of the Traits, Foibles, and Genius of Breakthrough Innovators Who Changed the World erklärt sie deren fast übermenschliche Selbstwirksamkeit mit Schlüsselmomenten aus ihrer Kindheit und Jugend.

Zum Beispiel brachte sich der erst 12-jährige Elon Musk Anfang der 1980er-Jahre selbst das Programmieren bei und verkaufte das von ihm eigenhändig programmierte Computerspiel „Blastar” für $500 an das Magazin PC and Office Technology.

Faktor #2: Fremde Erfahrungen

Zeuge zu sein, wie andere Personen Erfolg haben oder scheitern, kann sich ebenfalls positiv bzw. negativ auf unsere Selbstwirksamkeit auswirken.

Die Voraussetzung ist, dass die entsprechenden Personen mit uns vergleichbar sind. Man spricht von sogenannten Modellpersonen. Die Erfolge von Superhelden wie Superman und Co. wirken sich leider nicht auf unsere Selbstwirksamkeit aus.

Faktor #3: Soziale Gruppen

Von anderen Personen verbal ermutigt oder kleingemacht zu werden, kann sich unter Umständen positiv bzw. negativ auf die eigene Selbstwirksamkeitserwartung auswirken.

Die Voraussetzung ist, dass die Fremdeinschätzung von einer Autoritätsperson kommt und dass es keinerlei Erfahrungswerte gibt, die ihr widersprechen. Mit anderen Worten: Während sich Kinder noch leicht verbal ermutigen lassen, klappt es bei Erwachsenen eher nicht mehr.

Unsere Selbstwirksamkeit kann leiden, wenn wir von anderen aus Situationen gerettet werden, mit denen wir selbst hätten fertig werden können.

Faktor #4: Interpretation von Empfindungen

Körperreaktionen wie zum Beispiel Herzklopfen und/oder feuchte Hände können auf verschiedene Weise interpretiert werden. Wer diese Körperreaktionen als Zeichen von Angst deutet, wird anders über eine Situation denken als jemand, der in den gleichen Körperreaktionen Zeichen von Aufregung oder Vorfreude erkennt. Entsprechend unterschiedlich wirken sich die verschiedenen Interpretationen auf die Selbstwirksamkeit aus.

Wie wirkt Selbstwirksamkeit?

Menschen mit schwacher Selbstwirksamkeit geraten leicht unter Stress und haben daher häufig Angst vor Neuem. Außerdem sind sie vergleichsweise anfälliger für Angststörungen und Depressionen. Im Gegensatz dazu geht eine starke Selbstwirksamkeit mit angenehmen Gefühlen einher.

Wenn Hindernissen auftauchen, neigen Menschen mit starker Selbstwirksamkeit dazu, sich mehr anzustrengen, um die Hindernisse zu überwinden. Menschen mit schwacher Selbstwirksamkeit neigen hingegen dazu, zu resignieren und aufzugeben. So kriegt jeder das, was er erwartet.

Weil sie gravierende Auswirkungen auf unser Leben hat, kann die allgemeine Selbstwirksamkeit als eine unserer wichtigsten persönlichen Ressourcen angesehen werden.

Wie kann man Selbstwirksamkeit fördern?

Da eine starke Selbstwirksamkeit viele Vorteile und so gut wie keine Nachteile hat, erscheint es sinnvoll, sie zu stärken. Wichtig ist, dass die Selbstwirksamkeit nicht den Bezug zur Realität verliert und zur Selbstüberschätzung wird.

Die Selbstwirksamkeit scheint hohe unveränderliche Anteile zu haben: Sie hängt mit der allgemeinen Intelligenz und den Persönlichkeitsdimensionen Gewissenhaftigkeit und Extraversion zusammen. Außerdem besteht ein umgekehrter Zusammenhang zur Persönlichkeitsdimension Neurotizismus. (Die Rede ist von Persönlichkeitsdimensionen nach dem Big Five Modell.)

Auf der anderen Seiten spiegelt die Selbstwirksamkeit aber unser tatsächliches Können wider, d. h. wenn wir unsere Fähigkeiten verbessern, stärken wir auch unsere Selbstwirksamkeit.

Maßnahmen zur Erhöhung der Selbstwirksamkeit

Der wirksamste Hebel zur Stärkung der Selbstwirksamkeit sind persönliche Erfolgserlebnisse. Damit die Erfolge auch auf das Konto der allgemeinen Selbstwirksamkeit gehen, sollten möglichst verschiedene Lebensbereiche abgedeckt werden.

Es kann sinnvoll sein, große Ziele in kleinere Etappenziele herunterzubrechen, weil dadurch die Anzahl der Erfolge erhöht wird. Außerdem können sich so auch dann noch einige kleinere Erfolge ergeben, wenn das große Ziel nicht erreicht wird.

Von fremden Erfolgen profitieren wir, wenn wir Menschen studieren, die den Erfolg haben, den wir uns für unser eigenes Leben wünschen. Da die meisten Menschen gerne von ihren Erfolgen erzählen, sind viele erfolgreiche Menschen bereit, sich über ihre Erfolge befragen zu lassen.

Quellen

Bandura, A. (1977). Self-efficacy: Toward a unifying theory of behavioral change. Psychological Review, 84(2), 191–215.

Bandura, A. (1993). Perceived self-efficacy in cognitive development and functioning. Educational Psychologist, 28(2), 117–148.

Hi, hier schreibt Dr. Jan Höpker. Ich bin Wissenschaftler (Chemiker), Autor und Gründer der Websites HabitGym und Der perfekte Ratgeber. Mit meinem Buch Erfolg durch Fokus & Konzentration habe ich bis heute mehr als 20.000 Leser erreicht und ihnen dabei geholfen, fokussierter zu leben, zu lernen und zu arbeiten. Hier erfährst du mehr über mich.

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  • Lieber Jan, ich fühle mich ertappt :‚D Danke für den interessanten Beitrag. Ich bin gerade durch Zufall auf eurer Seite gelandet und dieser Artikel hier hat mich (leider) sofort gecatcht. Große Ziele in kleinere Etappenziele herunterzubrechen hilft mir tatsächlich, aber da ist noch viel Luft nach oben :)
    Viele Grüße aus Berlin

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